In den 90er Jahren suchte die Telekom nach neuen Anwendungen, die ihre Netze auslasteten, um über die Netzentgelte, sprich Telefongebühren, Geld zu verdienen.
Ein Bereich, auf dem große Hoffnungen ruhten, waren Videokonferenzen, und als Teil davon die ersten Bewegtbild-Arbeitsplätze. Und wie der Name Bewegtbild-„Arbeitsplatz“ schon sagt, sollte das Bewegtbild, also Video am Arbeitsplatz genutzt werden. Bei der Telekom, die über Partner eigene Systeme entwickeln ließ, liefen diese Projekte unter dem Namen MFKS, was für multifunktionales Kommunikationssystem steht.
Was vorher nur über das teure VBN (eine Verbindungsminute kostete nach meiner Erinnerung 10DM) möglich war, konnte ab Mitte der 90er Jahre über ISDN deutlich preiswerter angeboten werden. Und je nach Anforderung konnte von einem bis zu sechs ISDN-Kanäle gebündelt werden. Mit dem Preis (für die Verbindung) stieg auch die Qualität des Videobildes.
Dem Kunden MAN Roland war das Geld für die Telefonverbindung fast egal, schneller kompetenter Support hat auch heute noch oberste Priorität. Die Firma baut Druckstraßen, teilweise von mehr als einem Kilometer Länge. Bei Defekten kostet ein Stillstand Tausende von Dollar oder damals noch Deutschen Mark. Alles, was also den Stillstand einer solchen Maschine verkürzte, rechnete sich sehr schnell und war auch ein Verkaufsargument, um sich von der Konkurrenz abzusetzen.
Bis dato sah ein Supportfall folgendermaßen aus:
Bei einem Fehlerfall rief der verantwortliche Maschinenführer, wenn er den Schaden nicht selbst beheben konnte, bei einem Supportzentrum in Augsburg an. Dieses Zentrum war 24 Stunden, sieben Tage die Woche besetzt. Von dort aus versuchte man dem Kunden vor Ort zu helfen. Häufig musste dennoch ein Servicemitarbeiter zu Kunden geschickt werden. Der wurde in Augsburg in einen Hubschrauber gesetzt und nach Frankfurt geflogen, von wo aus er sich dann mit weiteren Linienflügen zum Kunden begab. Ähnlich verhielt es sich, wenn ein Ersatzteil schnell zum Kunden geschickt werden musste. Schlecht war es dann, wenn ein falsches Ersatzteil verschickt wurde.
Durch den Einsatz von Multifunktionalen Kommunikationssystemen, die für den Industrieeinsatz modifiziert worden waren, konnte dieser Prozess deutlich verbessert werden:
Durch die Bildtelefonie konnte der Mann vor Ort beim Kunden, teilweise befand er sich sogar in der Maschine, deutlich besser unterstützt werden. Im Dialog mit ihm konnten die Probleme und deren Lösungen viel besser erörtert werden. Dieser Prozess wurde dadurch, dass beide Seiten dasselbe sehen (Videoübertragung), erheblich verbessert.
Mehr Reparaturen konnten direkt durch die Menschen vor Ort durchgeführt werden. Auch konnten Missverständnisse auf ein Minimum reduziert werden. Reisen von Service-Mitarbeitern zum Kunden konnten reduziert werden.
Es sollte ein System gebaut werden, das im rauen Umfeld einer Druckstraße zuverlässig arbeitet.
Es sollte die normale Bildtelefonie/Videokonferenz unterstützen und zu anderen Standards kompatibel sein.
Die Kommunikation sollte von jeder Stelle der teilweise über 1000 Meter langen Maschine aus möglich sein.
Die Kommunikation sollte den Maschinenführer nicht behindern, damit er parallel an der oder in der Maschine arbeiten kann.
Und natürlich sollten Support und Mann vor Ort via Screen-Sharing dieselben Bildschirme sehen können.
Prinzipiell waren alle Komponenten für so ein System durch die MFKSe für Büroumgebungen vorhanden. Eine Herausforderung bestand also darin, diese so geschützt unterzubringen, dass sie auch in einer von Dreck, Staub und auch elektromagnetischen Störungen nur so strotzenden Umgebung zuverlässig laufen.
Weiterhin war die Größe einer solchen Druckmaschine ein Problem. An einem Büroarbeitsplatz ist alles in Reichweite einer Armlänge. Und was sich nicht in dieser Reichweit befand, konnte meist problemlos transportiert werden. Bei einer Druckstraße ist viel ortsfest verbaut bei Entfernungen über Hunderte von Metern.
Als Basis-System wurde ein für die Bürokommunikation entwickeltes MFKS eingesetzt. Dabei handelt es sich um einen PC unter Windows, der aufgerüstet mit speziellen Videokarten in der Lage ist, zwei Live-Videos in zwei Fenstern (eigens Bild und Bild von der anderen Seite) darzustellen. Zur Videoübertragung wurden spezielle Videokompressionsboards und ISDN-Karten eingesetzt. Aufgrund der Anzahl von Zusatzkarten mussten spezielle Industrie-PCs mit steckbaren CPU-Karten und Bussen mit 10 Steckplätzen für Erweiterungskarten eingesetzt werden.
Dieses System wurde in einen Labor-Rolly (siehe Bild) eingebaut, der vor Staub und Spritzwasser geschützt ist. Damit konnte das System an alle Stellen gerollt werden, wo es benötigt wird. In der Druckstraße wurden Anschlusspunkte installiert, die so verteilt waren, dass der Rolly über lange Anschlusskabel in jedem Bereich eingesetzt werden konnte.
Damit nun der Maschinenführer die Supporter aus der Service-Zentrale „auch mit in die Maschine nehmen“ konnte, bekam er eine Kamera mit Monitor und so langem Anschlusskabel, dass auch innerhalb der Maschine jeder Punkt erreicht werden konnte.
Um die Hände frei zum Arbeiten zu haben, bekam der Maschinenführer noch einen Helm mit eingebautem Mikrofon und Kopfhörer. Diese wurden über eine Funkstrecke an das MFKS angeschlossen.
Erweitert wurde dieser Arbeitsplatz noch durch eine Endoskop-Kamera, mit der Einblicke auch in besonders verborgene Stellen ermöglicht wurden.
Abgerundet wurde das System mit den auch auf Büro-Arbeitsplätzen eingesetzten Softwarepaketen, die die Video-Konferenz managten und Desktop-Sharing ermöglichten.
Man kann über den Erfolg der MFKSe streiten. Die Hoffnungen, die in diese Systeme gesteckt wurden, haben sich damals nicht erfüllt. Dennoch waren es die ersten funktionierenden und genutzten Telearbeitsplätze.
Dass sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, liegt auch an den Bedürfnissen der Menschen: Nur weil etwas technisch geht, wird es noch lange nicht akzeptiert. Für die meisten Kommunikationsbedürfnisse ist ein Telefon ausreichend. Und das fehlende Bild wird eher als Vorteil denn als Nachteil wahrgenommen. Wir hatten damals festgestellt, dass die Video-Kamera viele Benutzer hemmt. Frauen haben sich erstmal gekämmt und die Lippen nachgeschminkt, bevor sie ein Bildtelefonat führten. Aber auch Männer wirkten vor der Kamera gehemmter, als ohne Kamera.
Unbestritten ist jedoch ihr Erfolg im Bereich des Teleservices. Hier ging es um Zeit, Geld und die Sache. Hier wurden alle Vorteile eines solchen Systems sofort geschätzt und genutzt.